Zwei junge Frauen mit Megafon auf gelbem Hintergrund. In der Mitte Schriftzug

Gewalt an Schulen

14. Juli 2023

In den vergangenen Monaten wurden die Nachrichten immer wieder durch grausame Gewalttaten zwischen Kindern oder Jugendlichen erschüttert. Wir wurden Zeugen, wie sich Videos der Taten auf Social Media ausbreiten. Diese Form der öffentlichen Erniedrigung und das Ausmaß der Brutalität sind besonders erschreckend. Auffällig ist auch, dass es immer häufiger Berichte von Gewalt unter Mädchen gibt. Warum sind junge Menschen zu so etwas fähig? Woher kommt diese Wut? Und was können wir dagegen tun?

Mädchen, dass von allen Seiten geärgert wird.

Gewalt hat viele Gesichter

Um zu verstehen was aktuell passiert, müssen wir uns zunächst anschauen, was Gewalt überhaupt ist und welche Formen es gibt. Ist Boxsport Gewalt? Nein. Auch wenn beim Boxen kräftige Schläge ausgetauscht werden, können wir dabei nicht von Gewalt sprechen, da der Sport nach Regeln abläuft und sich die Teilnehmenden freiwillig dafür entschieden haben. Natürlich dürfen Kinder raufen und ringen, um Dampf abzulassen, solange klar ist, dass das für alle Beteiligten in Ordnung ist. Gewalt fängt dort an, wo bei einer der beteiligten Personen eine persönliche Grenze überschritten wird. Es wird ein körperlicher oder seelischer Zwang ausgeübt. Wir können vier Formen der Gewalt unterscheiden:

An diese Form denken die meisten wohl als erstes. Hierbei werden physische Schäden und Verletzungen zugefügt. Das kann z.B. durch Schläge, Tritte, Würgen, Nötigung oder den Einsatz von Waffen erfolgen. Prügeleien sind auf vielen Schulhöfen an der Tagesordnung und können von spielerischem Rangeln zu ernsthaften Situationen eskalieren. Konsequenzen für das Opfer reichen von Wunden über Traumata bis hin zum Tod.

Die Macht von Worten wird oft unterschätzt. Kommentare, Beleidigungen, Nachäffen oder Drohungen hinterlassen zwar kein blaues Auge, können aber trotzdem richtig wehtun. Gerade bei Schimpfwörtern ist die persönliche Grenze sehr individuell. Für die einen ist Schluss, wenn sie „Dumme Sau“ genannt werden, für die anderen, wenn die Familie beleidigt wird. Verbale Gewalt tritt direkt oder indirekt auf. Ob das Opfer angeschrien wird oder hinter seinem Rücken Gerüchte gestreut werden – beides ist Gewalt.

Wir Menschen sind soziale Wesen. Die Verbundenheit zu anderen gehört zu unseren psychologischen Grundbedürfnissen. Die Angst ausgegrenzt zu werden ist tief in uns verwurzelt. Schon in der Steinzeit war der Ausschluss aus der Stammesgruppe ein Todesurteil. Soziale Gewalt kann bedeuten, dass keiner im Sandkasten mit dir spielen will oder dass du im Sportunterricht immer als letztes gewählt wirst. Es kann bedeuten, dass die Lehrkraft dich in die Ecke setzt oder du Hausarrest hast. Isolation wird auch in Gefängnissen als Foltermethode eingesetzt. Mögliche Folgen davon sind Hormonstörungen, verminderte Denkfähigkeit, Depressionen und Bindungsstörungen. Auch Unterdrückung, Verfolgung und Diskriminierung (Sexismus, Rassismus, Homophobie, etc.) ist soziale Gewalt.

Ein zerbrochenes Geodreieck, ein verstecktes Heft oder ein geklautes Handy – solche Vorfälle sind in vielen Schulen an der Tagesordnung. Materielle und finanzielle Schäden können für das Opfer sehr belastend sein. Sich dann an Lehrkräfte, Eltern oder sogar die Polizei zu wenden ist nicht immer leicht, man will ja keine Petze sein. Auch Vandalismus an Gebäuden ist weit verbreitet. Einige Jugendzentrenten bieten Workshops und Flächen für Graffitis an, damit junge Leute sich legal kreativ entfalten können. Der Reiz erwischt zu werden oder rebellisches Verhalten können allerdings auch dazu beitragen, dass Schulklos mit Eddings vollgeschmiert werden.

Sammlung aus Zetteln mit Schimpfwörtern
Schimpfwörtersammlung einer 7ten Klasse

Die aktuelle Lage

Glücklicherweise sinkt die Jugendkriminalität laut BKA insgesamt seit einigen Jahren. Was jedoch auffällt ist, dass es im letzten Jahr einen deutlichen Anstieg der strafverdächtigen Kinder unter 14 Jahren gab. Die Zahl ist von 68.725 in 2021 auf 93.095 in 2022 gestiegen. Auch in diesem Jahr häufen sich Fälle von sadistischen Gewalttaten unter Kindern, sogar bis hin zur Tötung. Kinder in diesem Alter sind noch nicht strafmündig und können selbst für extrem grausame Taten nicht belangt werden. Ob das Alter der Strafmündigkeit herabgesetzt werden soll, ist umstritten.

Auswirkungen auf die Betroffenen

Die Auswirkungen von Gewalt unter Kindern und Jugendlichen sind gravierend. Opfer leiden oft nicht nur physisch, sondern auch psychisch unter den Folgen der Gewalt. Ihr Selbstwertgefühl kann stark beeinträchtigt werden und es kann zu langfristigen psychischen Traumata kommen. Zudem besteht die Gefahr, dass die Opfer selbst zu Tätern werden und somit ein Kreislauf der Gewalt entsteht.

Ein weiteres Problem kann das Vertrauen in die öffentliche Sicherheit betreffen. Die Präsenz von Gewalt kann dazu führen, dass sich Schüler:innen auf dem Schulweg oder Pausenhof nicht mehr sicher fühlen oder in ständiger Angst leben, dass Videos und Bilder von ihnen im Internet kursieren.

Gewalt unter Mädchen

Geballte Faust mit Nagellack

Dass es häufiger Berichte über Mädchen als Täter gibt ist auffällig, da körperliche Gewalt und nach außen gerichtete Aggression (externalisierendes Problemverhalten) eher typisch für Jungen ist. Mobbing unter Mädchen ist deshalb tendenziell schwerer zu erkennen und läuft typischerweise weniger offensichtlich ab. Folgende Mechanismen der Gewalt lassen sich bei Mädchen häufiger beobachten als bei Jungen:

  • Ausschluss und soziale Isolation: Hierbei werden andere gezielt aus Gruppen ausgeschlossen, ignoriert oder systematisch isoliert. Sie können beispielsweise von sozialen Aktivitäten oder Veranstaltungen ausgeschlossen werden oder das Gefühl haben, dass sie nicht dazugehören.
  • Indirekte Gewalt: Indirekte Gewalt beinhaltet Handlungen, die dazu dienen, das psychische oder emotionale Wohlbefinden eines anderen zu schädigen. Dies kann durch Ignorieren, Auslachen oder Spott geschehen.
  • Gerüchte und Intrigen: Dabei werden gezielt Gerüchte über andere verbreitet, um deren Ruf oder soziale Beziehungen zu schädigen. Diese Gerüchte können oft dazu führen, dass das Opfer von anderen ausgeschlossen oder gemieden wird.

Es ist wichtig zu betonen, dass diese Merkmale nicht ausschließlich auf Mädchen beschränkt sind und dass Mobbing in verschiedenen Formen auftreten kann. Dennoch kann das Bewusstsein über Tendenzen bei Geschlechterunterschieden dazu beitragen, dass Mobbing früh erkannt und angemessen angegangen wird.

Ursachen und Risikofaktoren

Gewalt unter Kindern und Jugendlichen hat verschiedene Ursachen. Zum einen kann ein ungünstiges familiäres Umfeld zu aggressivem Verhalten führen. Vernachlässigung, häusliche Gewalt oder fehlende Unterstützung seitens der Eltern können das Verhalten der jungen Menschen beeinflussen. Zudem spielt auch das soziale Umfeld eine wichtige Rolle: Armut, Diskriminierung oder das Aufwachsen in benachteiligten Stadtvierteln können das Risiko für gewalttätiges Verhalten erhöhen. Eine Bewältigungsstrategie für traumatische und schmerzhafte Erfahrungen kann gewalttätiges Verhalten sein. Dabei können unbewusste Einstellungen, wie „Wenn ich der Täter bin, kann ich kein Opfer sein“ oder „Weil ich leiden muss, müssen es auch andere“ eine Rolle spielen.

Auch Medien und Online-Plattformen beeinflussen das Verhalten von Kindern und Jugendlichen. Eine übermäßige und ungefilterte Konfrontation mit gewaltsamen Inhalten kann einen negativen Einfluss haben und zu einer Normalisierung von Gewalt führen.

Modelllernen

Der Psychologe Albert Bandura führte in den 1960er Jahren eine Reihe an Experimenten durch, die zeigen, wie Verhalten durch Beobachtung erlernt wird. Eines seiner bekanntesten Experimente ist das Bobo-Doll-Experiment. Dabei wurde Kindern ein Video gezeigt, in dem ein Erwachsener eine Plastikpuppe verprügelt. Es gab 3 verschiedene Enden des Videos:

  1. Der Erwachsene wird mit Süßigkeiten belohnt.
  2. Der Erwachsene wird bestraft.
  3. Es gibt gar keine Konsequenz.

Danach wurden die Kinder selbst in den Raum mit der Puppe gelassen. Das Ergebnis war, dass die Kinder, die das Ende mit der Belohnung gesehen hatten, gewalttätiges Verhalten gegenüber der Puppe zeigten. Ebenso auch die, die das Ende ohne Konsequenzen gesehen hatten. Die Kinder, die die Bestrafung gesehen hatten, zeigten erst weniger gewalttätiges Verhalten gegenüber der Puppe, als sie jedoch dazu aufgefordert wurden, prügelten auch sie.

Diese Experimente zeigten, dass Kinder nicht nur durch direkte Erfahrungen, sondern auch durch Beobachtung und Nachahmung lernen. Modelllernen kann nicht nur zur Übernahme von Verhaltensweisen führen, sondern auch die Erwartungen und Einstellungen der Kinder beeinflussen.

Warum Kinder gewalttätig sind, kann also viele Gründe haben. Klar ist, dass viele Täter selbst Opfer waren und das Umfeld einen wichtigen Einfluss auf aggressives Verhalten hat. Leider kann es so zu einem Teufelskreis kommen. Gewalt führt zu Gewalt.

Was können wir dagegen tun?

Es ist wichtig Gewalt unter Kindern und Jugendlichen präventiv vorzubeugen, bevor sie passiert. Wenn die Gewalt bereits passiert, sollte interveniert werden. Gerade im Kontext Schule gibt es Möglichkeiten, die Klasse zu stärken und das Wohlergehen aller zu fördern:

Normen- & Werterahmen

Normen- und Werterahmen einer Klasse mit den Begriffen: Sei wie du willst, Hilfsbereitschaft, Unterstützung, Witze und Respekt.
Nomen & Werte einer 7ten Klasse mit Übersetzung für die ukrainischen Kinder

Mit einer Sensibilisierung für eigene Bedürfnisse und die anderer, können gemeinsame Ziele definiert werden. Mit der Etablierung von positiven Normen und Werten kann ein soziales Unterstützungssystem aufgebaut werden.

Erlebnispädagogische Teamaufgaben

Durch gemeinsames Meistern von Herausforderungen werden Zusammenhalt und Vertrauen gestärkt. Bestehende Konflikte können aufgelöst und Vorurteile abgebaut werden. Durch anschließende kritische Reflexion wird ein besseres Verständnis für Gruppenprozesse möglich.

Schulklasse bei der Aufgabe "Moorpfad"

Bewegungsspiele

Kinder spielen mit Schwimmschlangen

Natürlich ist es okay mal seine Wut rauszulassen und sich zu auszutoben. Die Unterdrückung von negativen Gefühlen kann viele Situationen verschlimmern. Solange Grenzen klar kommuniziert werden und man sich einig ist, was für wen in Ordnung ist, tut es der Gruppe gut, auch mal Dampf abzulassen.

Akutintervention

Wenn es einen Fall von akuter Gewalt oder Mobbing gibt, ist es wichtig schnell zu handeln. Dabei sollte die gesamte Klasse über grundlegende Mechanismen und Konsequenzen von Gewalt aufgeklärt werden (Psychoedukation). Wenn ein Raum für Feedback und Austausch geschaffen wird, können Konflikte konkret angesprochen und gelöst werden.

Stuhlkreis mit bunten Stühlen

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